Wir begleiten Sie
auf Ihrem Weg

"Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind.
Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig.
Und wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben,
sondern auch bis zuletzt leben können."

- Cicely Saunders -

Je länger ich über das Thema „Leben im Sterben“ der diesjährigen Ökumenischen Woche für das Leben nachdenke, desto mehr wird mir die Komplexität und Vielgestaltigkeit bewusst. Zahlreiche Begegnungen mit schwerstkranken und sterbenden Menschen und Situationen, in denen ihr Leben im Sterben ...

Je länger ich über das Thema „Leben im Sterben“ der diesjährigen Ökumenischen Woche für das Leben nachdenke, desto mehr wird mir die Komplexität und Vielgestaltigkeit bewusst. Zahlreiche Begegnungen mit schwerstkranken und sterbenden Menschen und Situationen, in denen ihr Leben im Sterben für mich besonders erfahrbar wurde, fallen mir ein.

Ich erlebe es immer noch und immer wieder als Privileg, Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleiten zu dürfen. Ich möchte mit Ihnen nachfolgend einige dieser zwischenmenschlichen Begegnungen teilen, die für mich Leben im Sterben deutlich werden lassen.
(Mareike Hartig)

Achtsamkeit und Wertschätzung für die kleinen Dinge im Leben

Die hochbetagte Frau Dolt* liegt in ihrem Bett zwischen dicken Kissen und Federbett. Sie ist zu Hause, es ist Frühling, das Fenster geht zum Garten hinaus. Sie schläft viel, ist in den letzten Tagen “immer weniger geworden“, das Lebensende rückt nahe. Auf ihrem Nachttisch steht eine kleine Vase mit Osterglocken aus dem Garten. „Sie haben ja den Frühling auf ihrem Nachttisch zu Gast“ sage ich. Sie öffnet die Augen, schaut auf die Blumen und ihr Gesicht hellt sich auf. Mit strahlenden Augen und andächtiger Stimme antwortet sie: „Ja, die sind schön, nicht?!“. Am nächsten Tag verstirbt sie friedlich.

Fülle des gelebten Lebens

Ich lerne Herrn Sulz* im Hospiz kennen, er hat eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung. Herr Sulz hat in seinem Leben viel von der Welt gesehen, ist viel gereist. Er ist ein Schöngeist, ein Intellektueller, ein Genießer, ein Mensch mit feinen Sinnen. Einmal berichtet er von einem längeren Aufenthalt in Afrika. Von einem Strand, an den er jeden Vormittag zum Schwimmen ging. Vom Sand, vom Himmel, vom Meer und der salzigen Luft und vom Austernsammeln. Und wie er dann, auf den Felsen sitzend, die frischen Austern gegessen hat – ein Genuss, wie er ihn nur dort erlebt hat. Die Intensität und Lebendigkeit seiner Erinnerungen sind spürbar – Herr Sulz nimmt mich für eine Weile an den Strand in Afrika mit.

Ungelebte Träume

Auch Herrn Lahn* begegne ich im Hospiz. Er ist Ende dreißig, ein Mann aus einfachen Verhältnissen der sein materiell bescheidenes Leben immer in dieser Stadt gelebt hat. Bis vor einigen Monaten hat er noch in einem großen Supermarkt gearbeitet und Regale mit neuer Ware befüllt. Eine körperlich anstrengende Arbeit – mittlerweile ist Herr Lahn durch die Krankheit schmal geworden. Wir unterhalten uns über sein Leben, er erzählt über sein Elternhaus, seine Arbeit, seine Interessen, seine Freunde. Und dann spricht Herr Lahn von einem Traum und Lebenswunsch, den er nun nicht mehr in die Tat umsetzen kann: „Ich wollte immer mal mit einem Heißluftballon fahren und die Welt von oben sehen“. Wehmut schwingt in seiner Stimme. Aber auch ein bisschen Stolz angesichts dieses vielleicht kühn anmutenden Wunsches, einmal von der Erde losgelöst zu sein.

Autonomie

Frau Moll* ist dem Tod schon mehrfach “von der Schippe gesprungen“ – selbst dann noch, als das Palliativteam festgestellt hatte, dass sie sich im Sterbeprozess befindet. Vielleicht sind es ihre drei jugendlichen Kinder, für die die alleinerziehende Frau Moll sich immer wieder ins Leben zurück kämpft. Zu Hause lebt sie, bettlägerig wie sie mittlerweile ist, nur noch in der unteren Etage. Das Pflegebett steht nahe der Terassentür. Eine 24-Stunden-Pflegekraft wohnt mit im Haus. Frau Moll ist zwar schwerkrank, aber vor allem ist sie Mutter, und diese Verantwortung nimmt sie nach wie vor wahr und füllt ihre Rolle mit Flexibilität und Erfindungsreichtum so gut es eben geht aus. So weckt sie ihre beiden Jungs jeden Morgen – per Handy. Mit einem Anruf ins Obergeschoss scheucht sie sie aus dem Bett. Das lässt sie sich nicht nehmen.

Selbstbestimmung und menschliche Nähe

Frau Zöller* lebt mit ihrem Lebensgefährten in einer kleinen gemütlichen Wohnung. Sie hat zwei erwachsene Töchter aus erster Ehe, die sich rührend um sie kümmern, vor allem seit sie unheilbar an Krebs erkrankt ist. Frau Zöller hat schon mehrere palliative Chemotherapien hinter sich, nun ist die nächste Therapie von den Ärzten empfohlen worden – Frau Zöller muss sich entscheiden. Was will sie für sich? Was mit Blick auf ihren Lebensgefährten? Und die Töchter? Schließlich entscheidet sich Frau Zöller, die empfohlene Therapie nicht zu beginnen. „Bei den letzten Chemotherapien ging es mir immer so schlecht wegen der Nebenwirkungen. Wochenlang konnte ich nichts machen. Und mit jedem Mal hat die Wirkung weniger lang gehalten. Ich möchte jetzt einfach die Zeit genießen, die ich noch habe und mich gut dabei fühlen.“ Was sagt ihre Familie? „Alle waren erstmal geschockt, dass ich es so entschieden habe. Aber es geht mir doch darum, noch eine gute Zeit mit ihnen zu verbringen. Das konnten sie verstehen, und das werden wir jetzt machen.“ Frau Zöller spricht mit klarer, kräftiger Stimme. Man spürt: angesichts des nahenden Todes hat sie ihre Entscheidung getroffen. Stimmig. Selbstbestimmt. Für ihre Lebensqualität mit den Menschen, die ihr wichtig sind.

Leben im Umkreis des Sterbens

Alexander* ist neun Jahre alt und sitzt gehockt auf dem Boden vor dem Couchtisch im Wintergarten des Hospizes. Er weint bitterlich, denn vor wenigen Minuten hat ihm seine schwerkranke Mutter eröffnet, dass sie bald sterben wird. „Alle Menschen müssen mal sterben.“ hat er noch tapfer hervorgebracht und ist dann aus dem Zimmer gerannt. Nun sitzen wir zusammen auf dem Boden – Alexander, eine der Krankenschwestern und ich. Eine andere Schwester bringt ihm eine Tasse heiße Schokolade. Wir reden, wir schweigen, wir halten aus. Irgendwann beruhigt er sich ein wenig, die heiße Schokolade tut ihren Teil dazu. „Was wäre jetzt gut? Was sollen wir machen?“ Alexander überlegt kurz, dann: „Verstecken spielen. Im Garten.“ Es ist Ende Februar – also Jacken an und raus. In der nächsten halben Stunde sieht man uns zu zweit durch den Hospizgarten huschen…hinter Büschen kauernd, zählend, umherschauend: suchen und finden, gesucht und gefunden werden. Vielleicht auch auf einer seelischen Ebene “gemeint sein“. Wir spielen, wir lachen, wir (er-)leben. Seine Mutter sieht uns durchs Fenster.

*Name geändert

0228 / 62 906 900

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