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Der Hospizverein Bonn wünscht allen ein frohes Weihnachtsfest und im kommenden Jahr, von „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ zu bleiben.

 In der Weihnachtsausgabe des „Protestant“, der Zeitung der drei Evangelischen Kirchenkreise in Bonn, erschien dazu folgender Beitrag: 

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“

Dietrich Bonhoeffers letztes Gedicht gibt vielen Menschen auch heute noch Halt: an Wendepunkten des Lebens, in Krisen - aber auch am Beginn eines neuen Jahrs

Von Ebba Hagenberg-Miliu 

Wer kennt sie nicht, die letzte Strophe des berühmtesten Dietrich-Bonhoeffer-Gedichts, die mit den Versen beginnt: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag“? Vom Sinn, aber auch vom Klang und vom Rhythmus her empfinden wir sie als zutiefst tröstlich. Wir sagen oder singen sie, wenn wir unsere Liebsten begraben, aber auch in glücklichen Momenten bei Taufen, sogar bei Hochzeiten. Auf jeden Fall passen diese Zeilen immer dann, wenn wir Kraft und Zuversicht brauchen und unsere eigene Begrenztheit spüren. Die Verse des Pastors, der sie am 19. Dezember 1944 schrieb, geben uns auch heute noch Worte für das, was wir im Innersten wünschen: einen Hoffnungsgaranten an einer Gabelung unseres Lebenswegs. Einen friedlichen Hafen auch in tiefer Unsicherheit. Einen Halt zu Beginn eines ungewissen neuen Jahres. „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag“, beendet Bonhoeffer kurz vor Weihnachten 1944 das Gedicht. 

Der Zweite Weltkrieg tobt noch immer. Städte versinken im Bombenhagel. Die Welt brennt lichterloh. Bonhoeffer spricht in dem Gedicht durchaus vom „schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand“, den er und seine Zeitgenossen trinken müssen. Er verschweigt nicht den Wahnwitz der Realität. Er schreibt von allseits gequälten Herzen und dass den Menschen „böser Tage schwere Last“ drückt. Die Fratze des Nationalsozialismus hat sich 1944 längst entblößt. Seine ewige Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende hat aus normalen Bürgern Verleumder, Verräter und Schlächter ihrer Schwestern und Brüder gemacht. Millionen Leben sind schon aus Rassenhass erbarmungslos ausgelöscht worden. 

Und da ist Einer, der sieht all das glasklar. Der verdrängt die Extremsituation nicht und vertraut sich trotzdem ohne Wenn und Aber, ja „getrost“ den vom ihm beschworenen „guten Mächten“ an. Die es seiner Überzeugung nach unbedingt gibt. Dieser Pfarrer theologisiert nicht, sondern gibt seinem Credo durch die lyrische Form neuen Klang. Was für ein abenteuerlicher Mut in einer Endzeitlage, in der die Welt um ihn herum zu versinken droht. 

Zumal der, der sich da behütet und geborgen fühlt, an diesem 19. Dezember 1944 nicht in der warmen Stube, sondern im Gefängnis sitzt. Dietrich Bonhoeffer ist todgeweiht. 1936 hat der Theologe schon die Lehrerlaubnis für Hochschulen entzogen bekommen. 1940 erhält er Rede- und Schreibverbot. Was für einen Mann der frohen Botschaft dem Berufsverbot gleichkommt. Seine Kirche, die sogenannten Deutschen Christen, schützt ihn nicht. Bonhoeffer hat sich den oppositionellen Kollegen der Bekennenden Kirche angeschlossen. Er steht dem politischen Widerstand nah. Zwischen diesem und westlichen Regierungen hat er als Vertrauensmann über sein ökumenisches Netzwerk Kontakte geknüpft. Und obwohl er hochgradig gefährdet ist, kehrt er 1939 aus London und den USA wieder nach Hitler-Deutschland zurück. Einer der wirkungsmächtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts setzt sein Leben bewusst aufs Spiel. 

Am 5. April 1943 schnappt die Falle zu: Bonhoeffer wird verhaftet. Da hat er mit Maria von Wedemeyer gerade die Liebe seines Lebens getroffen und sich verlobt. Am 8. Oktober 1944 ist er ins Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in die Berliner Prinz-Albrecht-Straße verlegt worden, also an einen in jeglicher Hinsicht furchtbaren Ort. In den oberen Etagen steuert das Nazi-Regime seine Verbrechen an der Menschheit. Und im Keller setzt sich ein politischer Gefangener, der vier Monate später gehängt werden sollte, mit den letzten existentiellen Fragen auseinander. Dabei wird das Gedicht von den „guten Mächten“ sein letztes sein, das noch an die Außenwelt gelangt. Ob der Häftling das ahnt?

Er hat in Briefen sein Vermächtnis an Familie und Freunde geschickt. Darin sind plötzlich, er ist selbst erstaunt, von Juni bis Dezember 1944 insgesamt zehn Gedichte. Lyrik in Rohfassung, denn um die Verse wirklich ausarbeiten zu können, fehlt ihm im Kerker die Möglichkeit. Das will er später noch tun. „Ich bin ja kein Dichter“, schreibt er. „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, die wir brauchen“, hat Bonhoeffer über das Handeln in Grenzsituationen geschrieben. Seine Verlobte hat die letzten Briefe mit dem berühmten Gedicht Ende 1944 noch aus dem Gefängnis holen können. Er wolle, dass alle, die sich um ihn sorgen, gewiss sind: Er selbst fühle sich auch im Kerker ganz und gar geborgen, formuliert er da. „Mein liebste Maria, ich bin so froh, dass ich Dir zu Weihnachten schreiben kann. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick alleine und verlassen gefühlt“, steht im Brief. 

Im letzten Gedicht sublimiert er seine Aussage noch einmal auf lyrische Weise. Er erdet sie, macht sie für jedermann verständlich und zeitlos. Bonhoeffer findet trotz tödlicher Bedrohung den unaufwändigen Ausdruck für eine bleibende Hoffnung, die seither zahllose Leser anrührt. Die letzte Strophe ist schlicht in Wort und Reim. Mag und Tag, geborgen und morgen. Aber in ihnen steckt all das, was auch zahllose kirchenferne Menschen heute in Zuversicht mitsprechen oder, des lyrischen Tons wegen, mitsingen wollen.

Weggefährte Eberhard Bethge hat das Gedicht 1951 erstmals veröffentlicht. Bis heute haben mehr als 70 Komponisten den Text vertont. Gängig ist besonders die Melodie von Siegfried Fietz aus dem Jahr 1970, über deren Sakro-Pop-Charakter Puristen die Nase rümpfen. Trotzdem hat sie ebenso Einzug ins Evangelische Gesangbuch gefunden wie die „seriösere“ Melodie von Otto Abel von 1959. Die Verse und dazu die Melodie von Fietz haben aber auch im gar nicht sakralen Alltag Einzug gehalten. Und gerade heute, wo allerorten aus analogen und digitalen Lautsprechern Verschwörungs- und Bürgerkriegsnarrative gebrüllt werden, möchte man sie sich zum neuen Jahr in Erinnerung rufen. Einer, der kurz vor seiner Deportation ins Todeslager stand, schrieb in größter Not: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“

Online ist diese Ausgabe des "Protestant" hier zu lesen:

https://www.bonn-evangelisch.de/Downloads/PRO_70_Layout_Final.pdf?fbclid=IwAR3XNqgZYfJMWCRWxHkcEbOHCbz404YTR_JTfrRSIzegKq3QxorZsjjYeKQ

Foto: Alexandra Miliu

Redaktion: Ebba Hagenberg-Miliu

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