Zum umstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Thema Sterbehilfe, äußert sich Dr. Peter Schneemelcher, Vorsitzender de Hospizvereins Bonn:
"Eine große Herausforderung ist für uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, das das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) aufgehoben hat. Danach gehört es nun zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zur Freiheit jedes Einzelnen, sich das Leben nehmen zu können, dabei Hilfe bei Dritten zu suchen, und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Die Richter haben bei diesem Urteil allerdings auch ausgeführt, dass es ein Grundsatzurteil ist, das nun vom Gesetzgeber umgesetzt, mit Einschränkungen versehen und ausdrücklich im Strafrecht verankert werden müsse.
Doch als Grundsatz bleibt, dass jeder und jede, die aus dem Leben scheiden möchte, dazu ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen darf, und dass diese Hilfeleistung auch von Seiten des Arztes legal ist. Es bedarf nicht mehr der „Reise in die Schweiz.“ Das Urteil hat eine breite Diskussion in unserer Gesellschaft ausgelöst. Aufgabe des Staates und Grundlage unseres Zusammenlebens war und ist der Schutz des Lebens. Aber das Urteil aus Karlsruhe erklärt die Hilfe zum Suizid in letzter Konsequenz auch zu einer gesellschaftlichen Normalität, mit der auch Geld verdient werden darf. Es ist ein ethischer Dammbruch.
Je selbstverständlicher die Option der Hilfe zur Selbsttötung wird, desto größer wird die Gefahr, dass Menschen, die in einer extrem schweren Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt werden, davon Gebrauch machen und ihrem Leben ein Ende bereiten. Ein Blick über die deutschen Grenzen hinaus, etwa in die Niederlande, zeigt auch, dass bei schwerstkranken und unheilbaren Patienten, die ihren Willen nicht mehr äußern können, andere entscheiden dürfen, ob ein Leben noch lebenswert ist oder die Euthanasie nicht dann die „bessere“ Lösung ist. Wir sehen hier mit großer Sorge eine gesellschaftliche Entwicklung auf uns zukommen, innerhalb derer unheilbare Krankheiten als ökonomisches Problem angesehen werden, das es dann gilt, „sozialverträglich“ zu lösen. Gerade aber die Alten, Schwerkranken und Schwächsten, die sich nicht mehr wehren können, müssen den besonderen Schutz des Gesetzgebers erfahren, der, wie es in unserem Grundgesetz heißt, in Verantwortung vor Gott und den Menschen zu handeln hat.
Für uns als Hospizverein ist das Urteil eine Herausforderung, die uns zwingt, uns wieder ganz auf unsere ethisch-moralischen Grundlagen zu besinnen. Wir sehen den Menschen als Einheit von Körper, Seele und Geist. Ihm kommt eine unverlierbare Würde zu. Sein Leben ist eine Gabe Gottes, deren Dauer begrenzt ist. Die Hospizbewegung will Leben auch in der letzten Phase ganzheitlich, d.h. körperlich, seelisch und spirituell begleiten bis hin zu einem würdevollen Abschied aus dieser Welt und Zeit. Wir sind dankbar, dass die moderne Palliativmedizin diesen Abschied weitgehend schmerzfrei möglich macht. Und wir sind sehr dankbar, auch in unserem Verein viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, die selbstlos diesen Dienst der Begleitung am Lebensende übernommen haben und noch übernehmen werden. "
Der Text ist identisch mit dem Editorial Schneemelchers in "Dialog 1/2020. Magazin für Freunde und Förderer des Hospizvereins Bonn", als pdf in Kürze ebenfalls zu finden auf dieser Homepage.
Redaktion: Ebba Hagenberg-Miliu