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Welches Potential hat Kunst, hat in diesem Fall die Musiktherapie, die Lebensqualität schwerstkranker und sterbender Menschen zu verbessern? Eine ambulante Musiktherapeutin berichtet. 

 

„Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Dieser Satz stammt von dem französischen Schriftsteller Victor Hugo. Er wird von Musiktherapeuten gerne zitiert, wenn es darum geht, kurz und knapp das besondere Potenzial von Musiktherapie zu beschreiben. Sie spielt heute in vielen Einrichtungen als Teil des palliativ medizinischen Konzepts für die Verbesserung der Lebensqualität schwerstkranker und sterbender Menschen eine bedeutende Rolle. Denn mit Hilfe der Musik als „Co-Therapeutin“ kann die Musiktherapeutin neben der sprachlichen Verständigung auch in einen nonverbalen Dialog treten. Die Tatsache, dass sich der Hör-Sinn als letzter Wahrnehmungskanal eines sterbenden Menschen schließt, ermöglicht eine musiktherapeutische Begleitung bis in die präfinale Phase.

Musik bereitet letzte Inseln der Freude

Doch auch vor diesem letzten Stadium können sich Musik, Klang und Gesang der Musiktherapie in Hospiz und Palliative Care vielfältig positiv auswirken. Es entstehen Inseln von Normalität und Freude inmitten einer oft von Unsicherheit, Kontrollverlust und Angst geprägten Lebenssituation. Gemeinsames Singen beispielsweise (sei es in der Gruppe im Wohnzimmer, sei es im Einzelsetting oder gemeinsam mit

Angehörigen am Bett) oder das Hören von Musik kann zur Entspannung beitragen, wertvolle Ressourcen aktivieren und nicht zuletzt emotional tief berühren. Erinnerungen an biografisch wichtige Stationen und Erlebnisse werden wach, eigene Kompetenzen wieder spürbar, das „Mitschwingen“ in der Musik überwindet Einsamkeit und Isolation. 

Sätze, die in der Musiktherapie dann fallen, lauten in etwa so: „Das haben wir als Kinder immer mit der Oma abends beim Zubettgehen gesungen“ oder „Das Klavierspiel habe ich bis in mein Zimmer gehört, das ist so beruhigend“ oder „Ich habe seit der Krankheit nicht mehr gesungen und wusste gar nicht, dass ich das noch kann“. Aber auch „schwere Themen“ wie Abschied, Loslassen und Sterben und die damit verbundene Bilanzierung des eigenen Lebens können in der Musiktherapie ausgedrückt und bearbeitet werden. „Ich singe, was ich nicht sagen kann“: Der Titel eines Buches von Professor Rosemarie Tüpker bringt dies genau auf den Punkt.

Mit Behutsamkeit, Empathie und Respekt

Alte Volkslieder und Schlager erweisen sich dabei als wahrer Schatz, denn sie sind allgemein bekannt und decken das gesamte Spektrum existenzieller Themen des Menschseins ab. Aufgabe der Musiktherapeutin ist es, die Gefühlslage oder das „Thema“ eines Menschen wahrzunehmen und mit dem dazu passenden Lied in Resonanz zu gehen. Mit einem Seemannslied beispielsweise, in dem es um Heimweh und Fernweh, um Abschied von den Liebsten und Aufbruch ins Ungewisse geht. Oder mit einem Heimatlied, das von Identität und Zugehörigkeit zeugt und den eigenen Wurzeln Wertschätzung erweist, wenn sich der Kreislauf des Lebens vollendet. In Resonanz gehen lässt sich auch mit einem Lied, das von glücklicher und erfüllter oder aber von verlorener, unerfüllter Liebe erzählt. Oder mit einem Gute-Nacht-Lied oder einem christlich-spirituellen Lied, das Zuversicht, Vertrauen und den Mut zum Loslassen stärkt.

Das alles vollzieht sich im Kontext der therapeutischen Grundhaltung von Behutsamkeit, Empathie und Respekt, dem bewussten Einsatz der Stimme, dem situativ angepassten Spiel auf der Gitarre und dem Bewusstsein, dass „weniger oft mehr“ ist. Denn es gilt nicht nur, Musik gezielt und differenziert einzusetzen, sondern auch innezuhalten, Erinnertes nachklingen zu lassen und der „beredten“ Stille Bedeutung beizumessen, damit sich innerpsychische Prozesse neu ordnen können.

Abschließend muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass infolge der Corona-Pandemie die oben skizzierten Möglichkeiten der Musiktherapie deutlich eingeschränkt sind: Singen im Gruppensetting ist derzeit nicht möglich. Und auch die Musiktherapie im Einzelkontakt ist abhängig von den räumlichen Gegebenheiten und den geltenden Abstands- und Hygieneregeln unterworfen

Susanne Gratz

Veröffentlicht in: „Dialog“. Magazin des Hospizvereins Bonn 2/2020. 

Online hier: https://www.hospizverein-bonn.de/seminare-kurse-termine/dialog.html

Foto: Es musizieren im Hospizverein Bonn: Mareike Hartig und Thomas Döring. Foto: Ebba Hagenberg-Miliu

Redaktion: Ebba Hagenberg-Miliu

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