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Wenn Sterbende nicht mehr essen und trinken wollen. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat dazu ein Positionspapier herausgegeben 

 

„Wenn ein schwerstkranker Mensch aus freiem Entschluss nicht mehr essen und trinken will, um sein Sterben zu beschleunigen, dann ist das zu respektieren,“ sagt Professor Lukas Radbruch. Er ist Direktor der Klinik für Palliativmedizin des Universitätsklinikums Bonn und seit 2014 auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Der Vorstand dieser Fachgesellschaft hat Ende 2019 mit weiteren Experten zum Thema „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken“ ein Aufsehen erregendes Positionspapier herausgebracht. Darin begründet die DGP im Detail, dass es ausdrücklich keine strafbare Handlung sei, die selbstbestimmte Entscheidung eines unerträglich leidenden Palliativpatienten medizinisch zu begleiten, wenn er nicht mehr essen und trinken wolle. Vielmehr würde es den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen, einen Menschen gegen seinen Willen zu ernähren.

Sterbende nicht gegen ihren Willen ernähren

Der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken, auch als Sterbefasten oder freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit bezeichnet, habe seit Jahren  kontroverse Positionen ausgelöst, erläutert das Positionspapier. Vor diesem Hintergrund sehe es die DGP als dringlich an, „ethisch reflektiert und wissenschaftlich basiert Stellung zu beziehen und damit zu einem gesellschaftlichen Konsens beizutragen.“ Der Fokus liege dabei auf Patienten mit lebensbedrohlichen oder lebenslimitierenden Erkrankungen. Die Inhalte seien nicht ohne weiteres auf andere Gruppen übertragbar, also nicht auf alte, gebrechliche Menschen ohne schwere Erkrankungen oder gesunde Menschen, die des Lebens müde sind. 

Die Hauptthese der Experten ist: „Es ist nicht geboten, einen schwerkranken Menschen, der durch Verzicht auf Essen und Trinken seinen Tod herbeiführen möchte, gegen seinen Willen zu ernähren.“ Eine Behandlung ohne Einwilligung würde sogar den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen. Wesentlich sei hier, dass der Betroffene aus freiem Willen handelt und nicht durch eine krankhafte Essstörung oder eine andere psychiatrische Grunderkrankung in der Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt ist. Dann sei es auch keine strafbare Handlung, den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken von Palliativpatienten medizinisch zu begleiten und eine Ernährung und Flüssigkeitszufuhr über Sonde oder durch Infusionslösungen zu unterlassen. Wichtig sei, dass der entscheidungsfähige Patient mit lebenslimitierenden Erkrankungen aus freiem Willen selbst erklärt, sein Leid nicht mehr ertragen zu können. Diese Entscheidung müsse dann mit allen Beteiligten, also Zugehörigen, Ärzten und Pflegenden, abgestimmt werden und sei jederzeit widerrufbar.

Vorlesen, Düfte, Lieder und Gebete helfen

Sowohl der Patient als auch die Angehörigen müssen über mögliche Folgen des Prozesses, also Symptome wie Mundtrockenheit, Durst oder Verwirrtheit und deren Behandlungsmöglichkeiten, aufgeklärt werden. Denn dass der Patient nicht mehr zu essen und zu trinken bekommt, könne belastend auch für die Zugehörigen sein, führt das Positionspapier aus. Sie sollten aber ermutigt werden, bei dem Patienten zu verweilen, mit ihm zu reden, ihn zu berühren und ihm eine wohltuende Atmosphäre zu schaffen: mit Hilfe seiner Lieblingsmusik, mit Düften, mit Vorsingen bekannter Lieder, mit Gebeten oder Vorlesen. Verliere der Patient das Bewusstsein oder werde er verwirrt und schläfrig, sollte unbedingt der Sturzgefahr vorgebeugt werden, rät das Positionspapier. 

Es geht auch auf das mögliche Gefühl der Mundtrockenheit beim Patienten ein. Hier sei eine gute und regelmäßige Mundpflege nötig. Dabei sei zu beachten, dass der Mund zu den Intimzonen des Menschen gehört und insbesondere bei Patienten mit Bewusstseinstrübung ein behutsames Vorgehen notwendig ist, das das Wissen um die persönlichen Erfahrungen und Vorlieben des Patienten einbezieht. Wenn also der Speichelfluss angeregt werden solle, könnten bei dem einen gefrorene Ananasstückchen oder saure Fruchtbonbons helfen, beim anderen Kaugummi mit Minzgeschmack oder saure Malve- oder Hagebuttentees. Zur Mundbefeuchtung kann Spülen oder Auswischen dienen, rät das Papier. Kalte Getränke können mit einem Zerstäuber aufgesprüht werden. Auch das Befeuchten der Raumluft oder ein Balsam für die Lippen könnten die Mundtrockenheit lindern. 

Die Überlebenszeit ist dann nur kurz

Manche Schwerstkranke versuchen jede Form von Flüssigkeitszufuhr zu vermeiden, andere nehmen noch geringe Resttrinkmengen zu sich, um Medikamente einzunehmen oder um Mundtrockenheit vorzubeugen. Die Entscheidung über Art und Umfang der Maßnahme treffe der Patient selbst. Das Positionspapier geht aber auch auf das Thema Lebenserwartung ein. Beim vollständigen Verzicht auf Essen und Trinken sei davon auszugehen, dass sie nur drei bis sieben Tage, selten länger betrage, schreibt die DGP. Beim alleinigen Verzicht auf Essen, nicht aber auf Trinken, solle man mit einer Lebenserwartung von vier bis sechs Wochen rechnen. Das werde aber auch von Faktoren wie Ernährungszustand, Hydrationsstatus, Organfunktionsstörungen von Herz, Lunge oder Niere oder vom Vorliegen von Fieber oder Infekten beeinflusst. Insgesamt urteilt die DGP: „Mit einem solchen Vorgehen kann der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken … als ein Ausdruck von Würde verstanden werden.“

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin / Ebba Hagenberg-Miliu

Kontakt zur DGP: https://www.dgpalliativmedizin.de/

Der Artikel ist erschienen im Magazin „Dialog“ 2/2020 des Hospizvereins Bonn.  Online ist sie hier zu lesen: https://www.hospizverein-bonn.de/seminare-kurse-termine/dialog.html

Foto: Ebba Hagenberg-Miliu 

Redaktion: Ebba Hagenberg-Miliu

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