Wo steht der Hospizverein Bonn in der aktuellen Debatte zum assistierten Suizid? Der Vereinsvorsitzende Peter Schneemelcher sagt dazu: "Wir respektieren selbstverständlich den freien Willen zum Suizid, aber wir können keine aktive Mithilfe verantworten." Im neuen Magazin "Dialog" 1/2021 ist es ein Schwerpunktthema.
Peter Schneemelcher verdeutlicht als Vorsitzender die Position des Hospizvereins Bonn:
"Durch die aktuelle Debatte um den assistierten Suizid, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entfacht hat, sehen wir uns herausgefordert. Grundsätzlich gilt nun, dass jeder Mensch ein Recht auf das Sterben hat, sofern er dieses eigenverantwortlich und aus freiem Willen einfordert. Dazu darf er Hilfe in Anspruch nehmen. Aber weder der Staat noch Berufsgruppen sind dazu verpflichtet. Es ist die freie Entscheidung der Beteiligten. Für uns stellt dieses Urteil Grundlagen unserer Arbeit in Frage. Cecily Saunders, die Begründerin der neuzeitlichen Hospizbewegung, hat „Leben bis zuletzt“ zur Basis hospizlichen Handelns erklärt. Aufgaben sowohl des stationären als auch des ambulanten Hospizdienstes sind also das Begleiten, die Sorge für ein möglichst schmerzfreies Ende und das Vermitteln von Hoffnung, die über den Tod hinausträgt. Wir respektieren selbstverständlich den freien Willen zum Suizid, aber wir können keine aktive Mithilfe verantworten.
Zudem beobachten wir mit Sorge, dass, wenn ein Recht auf Sterben gesetzlich festgeschrieben wird, daraus auch ein moralischer Druck abgeleitet werden kann. Wenn die Kosten explodieren, die Situation des Todkranken für die Umwelt unerträglich wird, kommt schnell der Gedanke, von außen einzugreifen. Ein Blick etwa in die Niederlande und nach Belgien zeigt, wohin die Entwicklung gehen kann. Wenn der freie Wille dessen, der aus dem Leben scheiden will, geschwächt ist, dann entscheiden irgendwann andere. Der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau hat es auf den Punkt gebracht: „Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last des Weiterlebens aufbürdet.“
Das widerspricht auch unserem Auftrag. Die Hospizbewegung vermeidet sicher jede religiöse Engführung. Aber gemeinsam ist uns allen die Überzeugung, dass Leben ein Geschenk ist, das wir empfangen, um sorgsam damit umzugehen, und dass es nicht in unserem Ermessen steht, den Endpunkt zu bestimmen. Das überlassen wir einer anderen Macht (siehe auch die jüdische Sicht, S. 12). Der assistierte Suizid wird bereits in anderen Ländern praktiziert und auch bei uns zur legalen Normalität werden. Umso mehr müssen wir uns in die Diskussion einmischen, Fragen stellen, ob etwa der Wunsch nach Suizid Ergebnis einer selbstbestimmten Überlegung ist oder ob innere Zerrissenheit, Angst und Schmerz dahinterstehen, die nach Hilfe verlangen. Nicht assistierter Suizid wird gebraucht, sondern Suizidprävention. Leben bis zuletzt bedeutet für uns, dass nicht der Tod das letzte Wort ist, sondern die Vollendung unseres Lebens bei Gott."
Geschäftsführerin Anne Bieler-Brockmann zeigt den aktuellen Stand der Diskussion auf:
"Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Februar 2020 zum § 217 StGB ist in Deutschland erneut eine rege Diskussion um die Frage entbrannt: Dürfen sich die Medizin und ihre beteiligten Partner am assistierten Suizid beteiligen und dem Wunsch des Schwerkranken nachkommen?
Diese Diskussion rüttelt in rechtlicher und ethischer Hinsicht auf jeden Fall an den Grundfesten des deutschen Medizinverständnisses. Und in Zeiten von Corona verschärfte sich der Diskurs. Um sich im palliativen und hospizlichen Umfeld ein Bild von dem Urteil zu machen und sich positionieren zu können, hat der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV) am 19. Februar 2021 ein Dialogpapier herausgegeben.
Auf den Punkt gebracht, worum geht es in der aktuellen Diskussion? Das BVerfG hat mit seiner Urteilsbegründung deutlich gemacht, dass es eine Verpflichtung zur Beihilfe zur Selbsttötung nicht geben darf. Gleichzeitig wird mit dem Urteil die geschäftsmäßige Förderung nicht mehr unter Strafe gestellt. Das heißt, hier leitet sich kein neuer Auftrag für die Hospizarbeit und Palliativversorgung ab. Damit ist eine offene Diskussions- und Handlungslücke für die hospizliche Arbeit entstanden.
Es stellt sich die grundlegende Frage, was unter einem würdigen Sterben zu verstehen ist und entsprechend wie weit die palliative und hospizliche Arbeit reicht. Mit dem Urteil wird somit jeder Haupt- oder Ehrenamtliche für sich selbst entscheiden müssen, wie er oder sie mit der möglichen Anfrage eines Betroffenen umgehen wird. Experten rechnen damit, dass mit dem Urteil in der Praxis der Wunsch von Sterbenden und Angehörigen, Beihilfe beim assistierten Suizid zu erhalten, steigen wird.
Der DHPV hat sich klar zum Urteil positioniert
Der Gesamtverband der Branche tritt für die Wahrung von Würde und Selbstbestimmung ein, die Tötung auf Verlangen und die geschäftsmäßige Förderung der Beihilfe zum Suizid ablehnt. Es darf keine Verpflichtung der Einrichtungen der Hospizarbeit und Palliativversorgung geben. Vielmehr müsse die Öffentlichkeit aufgeklärt werden, welchen wertvollen und wichtigen Beitrag dieser Dienst bei Sterbenden und Angehörigen leistet. In der Praxis zeigt sich oft, dass bei allem Leid, dem Betroffenen gut geholfen werden kann und ein Leben in Würde bis zum Schluss möglich ist.
Kürzlich hat ALPHA Rheinland eine Umfrage unter den Einrichtungen zum aktuellen Diskussionsstand gestartet. Auch der Hospizverein Bonn hat sich an der Umfrage beteiligt.
Was bedeutet das Urteil des BVerfG?
Wer sich dafür entscheidet, sich am assistierten Suizid zu beteiligen, muss keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten, weder Ärzte- und Pflegepersonal noch Ehrenamtliche im Palliativ- und Hospizumfeld. Das Urteil steht also im Widerstreit mit dem Grundgedanken unserer Arbeit „Leben bis zuletzt“.
Soll sich die Hospizbewegung überhaupt an der Diskussion beteiligen? Was könnten Antworten sein, um mit dem Thema und den Betroffenen rechtlich und ethisch vertretbar umzugehen?
1. Es gilt, sich einzumischen, den Diskurs zu stärken und eine eigene Position zu beziehen.
2. Die Kommunikation mit Betroffenen muss ausgeweitet werden.
3. Die systematische, weitergehende, intensive, multiprofessionelle und interdisziplinäre Diagnostik muss verstärkt werden.
4. Es sollten mehr Handlungsoptionen außerhalb der Assistenz zum Suizid bereitgehalten und aktiv angeboten werden. Dazu müssen Konzepte zur Suizidprävention gefördert, weiterentwickelt und etabliert werden.
5. Die Assistenz zum Suizid ist keine Aufgabe der Palliativ- und Hospizarbeit. Sie schließt gleichwohl nicht aus, dass Einzelne im Rahmen der gesetzlichen Regeln sich an übergeordneten Strukturen beteiligen.
Dr. Peter Schneemelcher hat in diesem Heft für den Hospizverein Bonn e. V. Position bezogen (siehe Editorial). Unsere Koordinatorin Mareike Hartig berichtet aus der Praxis, die die komplexe Situation deutlich macht und aufzeigt, wo die Grenzen der hospizlichen Arbeit sind. (siehe Infokasten)
Fazit zum aktuellen Diskurs: Es gibt keine einfache Antwort. Das Thema ist und bleibt komplex."
Das Dialogpapier „Hospizliche Haltung in Grenzsituationen“ ist hier zu lesen: https://www.dhpv.de/news/dialogpapier_hospizliche-haltung-grenzsituationen.html
Mareike Hartig, Koordinatorin des Hospizvereins Bonn, gibt einen Bericht aus der Praxis:
"Im Rahmen der hospizlichen Arbeit begegnen mir immer wieder einmal schwerstkranke Menschen, die den Wunsch nach Sterbehilfe äußern, zum Beispiel: „Ich wünschte, ich könnte in die Schweiz fahren! Ich will nicht mehr.“ oder „Können Sie mir nicht etwas geben, damit es zu Ende ist?!“
In welcher Form auch immer dieser Wunsch geäußert wird – es gilt ihn wertfrei wahrzunehmen und in seiner Realität anzuerkennen: „Sie möchten gerade nicht mehr (so) leben.“ – allein dies kann für den Betroffenen schon eine emotionale Entlastung darstellen; es ist ausgesprochen, es steht im Raum. Er / sie wird ernst genommen. Und dann?
Mit einer wertschätzenden und fragenden Haltung dem Erkrankten gegenüber, mit Sensibilität und Empathie können wir den dahinterliegenden Gründen respektvoll gemeinsam auf die Spur kommen. Was dann zutage tritt, sind oftmals Ängste, z. B. vor belastenden und quälenden Symptomen, Einsamkeit oder Autonomieverlust. Aber auch verzweifelte Sinnfragen angesichts des eigenen Leidens, Hadern mit dem Schicksal und der eigenen Bedürftigkeit und Abhängigkeit von anderen können Gründe für den Sterbewunsch sein. Dies sind nur einige Beispiele. Und was können wir dann tun?
Für viele Sterbewünschende ist es hilfreich zu erfahren, welche Unterstützungsmöglichkeiten für sie zur Verfügung stehen (medizinisch, pflegerisch, psycho-sozial, spirituell), sodass Selbstbestimmung und Lebensqualität so weit wie möglich erhalten werden und die persönliche Würde gewahrt bleibt. Die Zusage, dass wir in der hospizlichen Begleitung solidarisch an ihrer Seite zu stehen bereit sind – bis zum Schluss – kann Sicherheit und Zuversicht geben. Für viele Betroffene lindert dies ihre seelische Not und den Sterbewunsch.
Für viele – aber nicht für alle. Auch das gilt es anzuerkennen."
Nachzulesen ist das alles im "Dialog" 1/2021.
Das Blatt gibt es kostenlos beim Hospizverein Bonn, Junkerstraße 21, 53177 Bonn, Tel. 0228 - 62 906 900. Online ist es auf der Vereinshomepage zu lesen:
https://www.hospizverein-bonn.de/seminare-kurse-termine/dialog.html
Redaktion: Ebba Hagenberg-Miliu
Foto: Ebba Hagenberg-Miliu